Das Berufsleben ist oft ein Balanceakt zwischen Leistungsdruck, zwischenmenschlichen Beziehungen und der ständigen Notwendigkeit, sich weiterzuentwickeln. Ein wichtiger Bestandteil dieses Prozesses ist die konstruktive Kritik – ein Werkzeug, das uns dabei hilft, besser zu werden. Doch immer wieder zeigt sich, dass Frauen im Berufsleben oft emotionaler auf Kritik reagieren als Männer. Dieses Verhalten kann, wenn es nicht gut gemanagt wird, das Bild von Frauen in der Gesellschaft und im Beruf negativ beeinflussen.
In diesem Blogbeitrag beleuchten wir, warum das Thema “überzogene Emotionen” oft Frauen betrifft, welche gesellschaftlichen und psychologischen Mechanismen dahinterstehen, und wie ein gesunder Umgang mit Kritik aussehen kann, der nicht nur das individuelle berufliche Wachstum fördert, sondern auch das Bild der Frau positiv beeinflusst.
Frauen und Emotionen im Berufsleben: Ein Spannungsfeld
Zunächst einmal ist es wichtig zu betonen, dass Emotionen grundsätzlich menschlich sind. Jeder Mensch, unabhängig von Geschlecht, hat Emotionen, die durch berufliche Herausforderungen, Leistungsdruck oder Kritik ausgelöst werden können. Der Unterschied besteht darin, wie diese Emotionen ausgedrückt und wahrgenommen werden. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass Frauen oft stärker sozialisiert werden, ihre Emotionen offener auszudrücken, während Männer dazu neigen, sie zu unterdrücken oder in aggressivere Formen der Kommunikation zu kanalisieren (Brody & Hall, 2008).
Im Berufsleben kann diese Diskrepanz dazu führen, dass Frauen, die ihre Gefühle stärker zeigen, als emotionaler oder “schwächer” wahrgenommen werden. Während Männern oft nachgesagt wird, rational und sachlich zu sein, wird bei Frauen eine emotionale Reaktion schnell als übertrieben oder unangemessen bewertet. Dies trägt dazu bei, dass sich stereotype Geschlechterrollen weiter festigen, die Frauen emotional und impulsiv und Männer sachlich und belastbar zeichnen.
Konstruktive Kritik und emotionale Reaktionen: Warum ist es für viele Frauen schwieriger?
Konstruktive Kritik ist ein elementarer Bestandteil jeder beruflichen Weiterentwicklung. Sie zeigt uns auf, wo wir uns verbessern können, und ist ein Werkzeug zur Optimierung unserer Fähigkeiten. Doch wie diese Kritik aufgenommen und verarbeitet wird, hängt von vielen Faktoren ab.
- Gesellschaftliche Prägung und Erziehung:
Von klein auf werden Mädchen oft dazu erzogen, sich in Beziehungen besonders harmonisch zu verhalten, Konflikte zu meiden und eher auf die Gefühle anderer zu achten (Eagly & Wood, 2012). Diese Erziehung kann dazu führen, dass Frauen Kritik schnell als persönlichen Angriff wahrnehmen, statt als sachliches Feedback. Ein starkes Harmoniebedürfnis kann auch dazu führen, dass Frauen sich von kritischen Anmerkungen schnell verletzt fühlen, da es ihr Bild von sozialer Zugehörigkeit und Zustimmung infrage stellt. - Perfektionismus:
Viele Frauen neigen zu einem höheren Maß an Perfektionismus, besonders im Beruf, wo sie sich oft stärker beweisen wollen, um gegen stereotype Rollenbilder anzukämpfen. Dieser Perfektionismus führt dazu, dass Kritik nicht als nützliches Feedback, sondern als Hinweis darauf empfunden wird, nicht gut genug zu sein. Dies kann emotionale Abwehrreaktionen auslösen – Wut, Tränen oder Rückzug, statt die Kritik konstruktiv anzunehmen. - Der Wunsch nach Akzeptanz:
Viele Frauen, insbesondere in männlich dominierten Branchen, haben ein starkes Bedürfnis, akzeptiert und anerkannt zu werden. Wenn diese Anerkennung durch Kritik infrage gestellt wird, kann das tiefe Unsicherheiten auslösen. Oft wird Kritik als Zeichen wahrgenommen, dass man sich nicht genügend Mühe gegeben oder versagt hat.
Emotionale Reaktionen und das gesellschaftliche Bild der Frau
Wenn Frauen auf Kritik stark emotional reagieren, kann dies leider das stereotype Bild von Frauen im Beruf bestärken – nämlich, dass sie nicht belastbar genug sind oder im professionellen Umfeld nicht genauso rational handeln können wie Männer. Solche Reaktionen füttern oft Vorurteile, die Frauen als „zu emotional“ abstempeln. Dies kann sich langfristig negativ auf die Karrierechancen auswirken, denn Führungskräfte erwarten in der Regel von ihren Mitarbeitern ein hohes Maß an emotionaler Stabilität und Professionalität im Umgang mit Rückschlägen und Kritik.
Eine Studie von Brescoll (2016) zeigte, dass Frauen, die im Berufsleben ihre Emotionen zeigen – insbesondere Wut oder Trauer – von ihren Kollegen oft negativer bewertet werden als Männer, die ähnliche Emotionen zeigen. Die Wahrnehmung, dass Emotionen Schwäche signalisieren, führt dazu, dass emotionale Frauen eher als „unprofessionell“ gelten.
Wie können Frauen einen gesunden Umgang mit Kritik entwickeln?
Der Umgang mit Kritik ist eine Fähigkeit, die trainiert werden kann. Es geht nicht darum, Emotionen zu unterdrücken, sondern sie in einer Weise zu kanalisieren, die produktiv ist und Raum für Wachstum schafft. Hier sind einige Strategien, die Frauen helfen können, konstruktiver auf Kritik zu reagieren:
- Emotionale Intelligenz stärken:
Emotionale Intelligenz bedeutet, die eigenen Emotionen und die anderer bewusst wahrzunehmen, zu verstehen und zu steuern. Frauen können lernen, ihre emotionalen Reaktionen auf Kritik besser zu regulieren, indem sie sich fragen: Warum trifft mich diese Kritik so stark? Was löst sie in mir aus? Ein tieferes Verständnis der eigenen emotionalen Muster hilft dabei, bewusster mit Rückmeldungen umzugehen. - Eine Wachstumsmentalität entwickeln:
Anstatt Kritik als Angriff auf das eigene Selbstwertgefühl zu sehen, kann es hilfreich sein, Kritik als Gelegenheit zur Verbesserung zu betrachten. Dies wird als „Growth Mindset“ bezeichnet (Dweck, 2006). Menschen mit einer Wachstumsmentalität sehen Fehler und Feedback als Teil des Lernprozesses und nicht als Zeichen von Versagen. - Professionelles Feedback suchen:
Wenn Kritik von einer Person kommt, die respektvoll und professionell ist, fällt es oft leichter, diese anzunehmen. Frauen sollten sich aktiv um konstruktives Feedback bemühen und dieses als Werkzeug für ihr berufliches Wachstum nutzen. Indem sie proaktiv nach Verbesserungsvorschlägen fragen, können sie das Gefühl der Ohnmacht überwinden, das manchmal mit unerwarteter Kritik einhergeht. - Innere Abgrenzung üben:
Es ist wichtig, Kritik von der eigenen Person zu trennen. Kritik bezieht sich auf spezifische Handlungen oder Leistungen und ist kein Urteil über den eigenen Wert als Mensch. Diese mentale Abgrenzung hilft dabei, Kritik nüchterner zu sehen und emotional ausgeglichener darauf zu reagieren. - Unterstützung und Mentoring suchen:
Ein Netzwerk aus Unterstützern, die bereits erfahren darin sind, mit Kritik umzugehen, kann helfen, die eigenen Emotionen besser zu regulieren. Mentoren und Kolleginnen können ihre eigenen Erfahrungen teilen und Tipps geben, wie man konstruktiv auf Rückmeldungen reagiert.
Fazit
Überzogene emotionale Reaktionen auf Kritik können im Berufsleben, insbesondere für Frauen, negative Folgen haben. Diese Reaktionen führen nicht nur dazu, dass Kritik als persönlicher Angriff wahrgenommen wird, sondern verstärken auch gesellschaftliche Vorurteile über das emotionale Verhalten von Frauen. Ein bewusster und professioneller Umgang mit Kritik ist daher entscheidend, um nicht nur im Job erfolgreich zu sein, sondern auch das Bild von Frauen im Beruf positiv zu verändern.
Indem Frauen emotionale Intelligenz trainieren, eine Wachstumsmentalität entwickeln und lernen, konstruktive Kritik als Chance zur Weiterentwicklung zu sehen, können sie nicht nur ihre Karriere vorantreiben, sondern auch stereotype Rollenvorstellungen aufbrechen.
Quellen:
• Brody, L. R., & Hall, J. A. (2008). Gender and emotion in context. In M. Lewis, J. M. Haviland-Jones & L. F. Barrett (Eds.), Handbook of emotions(pp. 395–408). Guilford Press.
• Eagly, A. H., & Wood, W. (2012). Social role theory. In P. A. M. Van Lange, A. W. Kruglanski & E. T. Higgins (Eds.), Handbook of theories of social psychology (pp. 458–476). Sage.
• Brescoll, V. L. (2016). Leading with their hearts? How gender stereotypes of emotion lead to biased evaluations of female leaders. Leadership Quarterly, 27(3), 415-428.
• Dweck, C. S. (2006). Mindset: The New Psychology of Success. Random House.